Lauftreff - Abteilung

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16.09.2015

Medoc-Marathon 2015: Weintheke bei KM 38


Beim diesjährigen 26. Marathon du Medoc in Frankreich am Sa 12. September waren auch 3 Teilnehmer aus der Hirschauer Laufszene vertreten, Philip Hild als Organisator vom Jaques Weindepot, "Braut" Sabine und Hartmut „Aly“ Keck, weit über Tübingen hinaus bekannte Laufikone. Bei diesem  ungewöhnlichen Laufspektakel der besonderen Art kommt es nicht auf schnelle Zeiten an sondern vielmehr auf Genuß und Frohsinn in spaßiger Verkleidung. Lest nun nachfolgend  Alys emotional aufwühlenden Bericht: 

Wirklich ein Lauf der besonderen Art, jedoch nichts für den ehrgeizzerfressenen Läufer, der atemlos dem eigenen Rekord hinterher hechelt, bestrebt eine neue Bestmarke von sich im Internet verewigen zu können und während und nach dem Lauf nur Blick für die Uhr, die Nettozeit von sich hat. (Und anschließend im Hotel sofort im Internet nach den Zeiten der anderen Läufer sucht). Dieser Läufer ist in Médoc denkbar fehlplatziert. An die eigene Bestzeit wäre sowieso nur zu denken, wenn man in der ersten Startreihe antritt. Denn bedingt durch das doch recht große Läuferfeld und den teilweise engen Plätzen in den Chateaux, in denen zu Beginn der eine oder andere Stand mit Wasser und Wein aufgebaut ist, gibt es öfters lange Rückstaus, die den bis dato noch ambitionierten Leistungsläufer schnell ausbremsen.

Nein, Médoc ist für die Art Läufer, für die der Weg, der Spaß, das Entertainment – der WEIN das Ziel ist!!! Man erlebt dort ausgelassene Stimmung unter den Läufern wie bei keinem anderen Lauf. Beinahe jeder Läufer ist verkleidet – bei unverkleideten Läufern schaut man ganz automatisch und unbewusst, ob besagte Läufer überhaupt eine Startnummer tragen.

Es ist absoluter Karneval pur, was der französische Veranstalter und die Mischung aus französischen und hauptsächlich britischen und deutschen Läufern dort bieten.

Und es verwundert dann auch überhaupt nicht mehr, wenn bei KM 18, in edler Parkanlage eines Chateaus (Flasche Wein zwischen 200 und 600 Euro) doch tatsächlich eine Gruppe Engländer (nehme ich an) mit Pappkronen auf dem Kopf sich in den Teich werfen und herum schwimmen. Dieser Lauf ist so irre, selbst der Gewinner trägt Schlipps und ein lustiges Hütchen.

Die Strecke führt durch idyllische Weingärten und wunderbare Chateaux. Und auch die Verpflegung sucht seinesgleichen. Beinahe an jedem Kilometer gibt es Wasser, großes Obst- und Keks-Buffet – und wenn sich die Verpflegungsstelle in einem der Chateaux befindet (wie häufig) dann selbstverständlich auch den jeweiligen Wein in teilweise sehr hochwertigen Jahrgängen und teilweise aus der Flasche in das stilvolle Glas serviert. (Vor allem wenn sich gegen später das Feld auseinandergezogen hat und an den Ständen kein Gedränge mehr herrscht.)

Dann kam er: KM 38 !!! Ihn hatte ich zu meinem erklärten Ziel erkoren, auf ihn hatte ich mich so sehr gefreut, ihm fieberte ich 38 – teilweise doch lange Kilometer – entgegen.

Und ich wurde nicht enttäuscht. Zuerst ein großer Platz mit langer Weintheke und einer Bühne auf der eine Band u.a. Lieder von Queen und Police sehr authentisch spielte. Die Stimmung plötzlich unheimlich erleichtert, freudig, ausgelassen. Läufer, die sich hier wieder treffen liegen sich in den Armen, trinken Wein und bedienen sich an Keksen und Obst. Helfer schauen, welchen Vornamen man auf der Startnummer hat und versuchen mit einem in der Muttersprache zu reden. (Da liest dann die Obstfrau „Arrrtmüüüt“ auf meiner Startnummer und bietet mir die Orangenstücke mit dem Spruch „Vitamin C!!!“ an) – Alle sind plötzlich wie verwandelt.

Einen Kilometer weiter: Austern und Weißwein vom Médoc. Kein Gedränge, Ausgelassenheit. Man nimmt eine Zitronenscheiben, beträufelt damit die Austern, schlürft diese und berauscht sich am Wein.

Kilometer 40: Als ich ankomme wurde am Stand gerade eine neue, riesige Ladung medium gegrilltes Entrecôte gebracht. Die Helfer schnitten alles mundgerecht zusammen. Diese Tabletts wurden uns zusammen mit Baguettes hingestellt. Ich war äußerst keck und langte ordentlich zu. Das Fleisch war so herrlich. Und vielleicht lag es daran, dass man nach 40 Kilometern einfach ermattet, dennoch glücklich, erleichtert und auf sich unendlich stolz ist, dass es zu einem Gaumengenuss kommt, wie man sich einbildet ihn noch nie vorher im Leben erlebt zu haben. Es war ein unbeschreibliches Gefühl.

Kilometer 41: Verschiedene Käse auf Baguette – dazu entweder Rotwein – oder wie in meinem Falle ein gekühlter Rosé. (Wie ich mir – inzwischen durch meinen Bekannten zum Weinexperten mutiert – einbilde rein aus Merlot-Trauben gekeltert).

Und jetzt wird’s ein bisschen unglaubwürdig – aber ich schwöre, es war GENAU SO: Während des Laufs habe ich mir oft überlegt, was ich mir im Ziel gönnen würde. Unser Bus parkte neben einem Supermarkt und ich überlegte, was ich dort alles kaufen und mich damit belohnen könnte. Cola ? Bier ? – Eines war mir ganz, ganz gewiss: Ich wollte UNBEDINGT ein EIS haben. DAS war mir ganz sicher. Viele Kilometer lang phantasierte ich vor mich hin von einem Eis, das ich mir auf jeden Fall im Anschluss des Laufs gönnen wollte. Ca. 700 Meter vor dem Ziel bogen wir in einem kleinen Dörfchen auf den dortigen Hauptplatz ein. Und dort standen sie: Einige Helfer mit riesigen Tabletts, die sie uns Läufern entgegenstreckten – und auf diesen Tabletts befanden sich kleine Eis am Stiel mit Schoko und Vanille. Die Helferin vor mir musste herzhaft lachen ob meines Gesichtes, als ich das sah. Sie streckte mir ihr Tablett entgegen, ich nahm mir ein Eis und konnte nur noch stammeln: „Je t’aime.“ 

Es war MEIN Lauf und ich bin mir ganz sicher, ihn nicht zum letzten Mal gelaufen zu sein.

Wie hat ein österreichischer Läufer anschließend zu mir im Bus seinen Lauf resümiert ? – Er meinte: „Ich war zu schnell im Ziel.“

Und ich weiß, was er damit meint.

Hartmut "Aly" Keck

 




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